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Gelesen

Freudenfrau. Die Geschichte der Zora von Zürich.

Die Menschen, von denen Susanna Schwager in ‹Fleisch und Blut› und in ‹Die Frau des Metzgers› erzählt, hatten mich beeindruckt. Deshalb habe ich die ‹Freudenfrau› gelesen.
Zora erzählt vom spiessigen St. Gallen der Sechzigerjahre, ihrer Ehe in Marokko, ihrer Flucht und Rückkehr in die Schweiz und vom Zürich der Achtziger, wo ihre Kundschaft vor allem aus der Schicht der Mächtigen stammte. Das liest sich so, als ob Susanna Schwager die Tonaufnahmen Wort für Wort aufs Papier gebracht hätte. Mitsamt den Zwischenbemerkungen von Päuli, einem Freund der Zora. Diese sagt immer mal wieder, dass sie nicht alles erzähle. Was sie verschweigt (oder einiges davon) erzählt dann der ehemalige Polizist Werner Freudiger, der damals in Zürich bei der Sitte war. Starker Back.

Zora bemerkt einmal: Ehrlich gesagt, weiss ich nicht mehr, wie ich das alles durchstehen konnte. Man wächst an den Schmerzen, heisst es. Vielleicht, wenn ich nachdenke, wird man in eine sonst verborgene Grösse gestossen. Wenn man Glück hat, nicht wahr. Die, die nicht zerbrechen, wachsen von dort weg, wo es wehtut. Zora ist viel Schmerz beigefügt worden. Zerbrochen ist sie nicht. Sie war stark und hatte ein grosses Herz. Hat sich immer für die Schwachen eingesetzt. Für wehrlose Dirnen im Niederdorf und für die Drogensüchtigen auf dem Platzspitz. Hat sich den Mund nie verbieten lassen. Eine sehr mutige Frau. Authentisch. Beeindruckend.

Über ihre Kundschaft sagt sie: Du glaubst gar nicht, wer da alles kam. Ärzte. Anwälte. Bankiers. Politiker. Es sprach sich herum, Annoncen machte ich nie. Ich half diesen Männern, sich zu beruhigen und zu entspannen. Sie sind nachher für einen Moment zufrieden, das ist doch gut für die Welt. Es gibt Leute, für die ist das schwierig. Sie leben für die Macht und für die Gier, die können nichts anderes. Das Befriedigen ist dann mühsam und wird immer mühsamer. Weil sie keine Nähe ertragen. Auch nicht zu sich selber. Schon gar nicht zu Frauen, obwohl die meisten ja verheiratet sind. Sie können nicht nah sein.
Sie hat auch eine Erklärung für dieses Sosein, ist eine gute Psychologin, sieht hinter die Fassade der Menschen. Und sie schaut mit dem Herzen. Sie hat Grösse. Jemand mit weniger Glück – sie selbst redet ja von Glück – wäre verbittert oder zynisch geworden. Oder zerbrochen. Sie sagt immer wieder: Ich hatte so viel Glück im Leben.

Es ist eine grosse Fähigkeit, eine grosse Stärke, wenn ein Mensch das Glück sehen kann.
Wenn Glück gesehen wird, kann es sich ‹vermehren›.

Sonntag, 10. April 2016

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